Soll Deutsch als Wissenschaftssprache überleben?

Pro: Ja, sagt Ralph Mocikat, Vorsitzender des Arbeitskreises Deutsch als Wissenschaftssprache (Adawis)

In der Wissenschaftskommunikation wird zunehmend auch im Inland ausschließlich die englische Sprache verwendet. Das gilt insbesondere für naturwissenschaftliche und technische Disziplinen. Auf Kongressen mit ausschließlich deutschsprachigen Teilnehmern werden Vorträge fast immer nur noch auf Englisch gehalten.

Immer mehr Hochschulen stellen Studiengänge komplett auf Englisch um. Dabei haben verschiedene Studien aus den Niederlanden, Schweden oder Norwegen gezeigt, dass das tiefere Verständnis deutlich eingeschränkt ist, wenn Studenten den Stoff in ihrer Disziplin nur in der Lingua franca aufnehmen.

Auch bei uns erleben wir täglich, welche Konsequenzen es mit sich bringt, wenn Seminare oder wissenschaftliche Besprechungen nicht mehr in der Muttersprache abgehalten werden: sie verflachen. In vielen Seminaren merkt man beispielsweise, wie die Diskussionsbereitschaft dramatisch abnimmt, wenn die Fachsprache Englisch ist, selbst wenn alle Teilnehmer das Englische hervorragend beherrschen.

Das liegt daran, dass Sprache nicht nur eine kommunikative, sondern auch eine kognitive Funktion hat. Unsere Denkmuster, das Auffinden von Hypothesen, die Argumentationsketten bleiben – auch in den Naturwissenschaften – stets in dem Denken verwurzelt, das auf der Muttersprache beruht. Wissenschaftliche Theorien arbeiten immer mit Wörtern, Bildern, Metaphern, die der Alltagssprache entlehnt sind.

Die ganze Tragweite von Anspielungen und Bildern kann man nur in der jeweiligen Muttersprache voll erfassen und für die Forschung fruchtbar machen. Wenn die Quelle für die Fachsprachen nicht mehr die Alltagssprache ist, werden die Sprachbilder fehlen, die nötig sind, um Neues anschaulich begreiflich zu machen. Da jede Sprache einen anderen Blickwinkel auf die Wirklichkeit zulässt und individuelle Argumentationsmuster bietet, läuft es auf eine geistige Verarmung hinaus, wenn Lehre und Forschung auf das Englische eingeengt werden.

Gastwissenschaftler, die mit guten Deutschkenntnissen hierher kommen, dann jedoch von unserer Sprache und Kultur ferngehalten werden und daher nach kurzer Zeit ihre Sprachkenntnisse verlieren, kommen sich ausgegrenzt vor und tragen ein negatives Deutschlandbild in ihre Heimat zurück.

Durch den ausschließlichen Gebrauch des Englischen entfernt sich die Wissenschaft auch immer weiter von der Gesellschaft, gegenüber der sie rechenschaftspflichtig ist. Natürlich kommen wir ohne Englisch als internationale Kongress- und Publikationssprache nicht aus. Doch unbestritten ist, dass wir im Inland auch das Deutsche als Wissenschaftssprache benutzen und pflegen müssen. Dazu wäre es beispielsweise notwendig, mehr in Übersetzungen zu investieren.

 

Contra: Nein, sagt Alexander Kekulé, Direktor am Institut für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle-Wittenberg

Dass die deutsche Alltagssprache von englischen Wörtern kontaminiert wird, ist eine ästhetische Zumutung und kulturell bedenklich. Gewiss, manchmal sind englische Ausdrücke besonders "cool" und für Wörter wie "Gadget" oder "App" gibt es einfach keine perfekte Übersetzung. Offenbar meinen unsere Werber jedoch, man könnte den deutschen Konsumenten nur noch mit englischen Plastikwörtern erreichen.

Die Forderung, Deutsch als Wissenschaftssprache wieder zu beleben, ist jedoch die falsche Antwort auf das Problem, zumindest soweit es Naturwissenschaften und Technik betrifft. Hier ist Englisch seit Jahrzehnten die Lingua franca, und das ist auch gut so. Dass sich Forscher aus allen Erdteilen schnell, präzise und mit einheitlichen Definitionen austauschen können, hat die Wissenschaft erheblich beschleunigt. Für Wissenschaftler aus Entwicklungsländern eröffnete erst die gemeinsame Sprache – zusammen mit dem Internet – die Chance, am globalen Diskurs teilzunehmen.

Zudem werden viele Arbeiten von internationalen Autorenteams verfasst, die nur Englisch als gemeinsame Sprache haben. Auch für Forschungsaufenthalte im Ausland – und für ausländische Gäste bei uns – ist die gemeinsame Arbeitssprache von unschätzbarem Wert.

Hinzu kommt, dass es viele neue Fachbegriffe nur auf Englisch gibt. Um sie einzudeutschen, müsste man zwanghaft Entsprechungen erfinden, die nicht einmal für Muttersprachler eindeutig wären. Die absurden Konsequenzen kann man in Frankreich beobachten: Dort stöhnen die Forscher, weil sie per Gesetz verpflichtet wurden, Tagungsbände auf Französisch zu übersetzen. Bei Konferenzen quellen die Mülleimer davon über.

Der beste Schutz vor englischen Kontaminationen der Alltagssprache wäre im Gegenteil, wenn möglichst viele Deutsche sehr gut Englisch sprechen. Wer zwei Sprachen gut beherrscht, hält sie sauber auseinander und findet es ganz und gar nicht "smashing", wenn in jede gesprochene "line" massenweise englische "expressions eingemerged" sind.

 

 

Naposledy změněno: pátek, 5. prosince 2014, 17.15