Aufgabe: Zusammenfassung; Abgabetermin: 7.1.2014
Lesen Sie den folgenden Text und schreiben eine kurze Zusammenfassung! Textlänge: max. 70 Worte. Abgabetermin: 7.1.2014
Warum der Körper so schlecht lügen kann?
Haben Sie das schon bemerkt? Je höher jemand auf der Leiter der Macht steht, desto bescheidener sind seine Gesten. Und je tiefer er auf dieser Leiter steht, desto reicher ist seine Körpersprache. Und noch etwas: Je älter wir werden, desto mehr bremsen wir unsere Körpersprache. Macht und Alter reduzieren die Gesten. Ein Beispiel: Wenn ein Kind lügt, dann bedeckt es den Mund mit der Hand. Diese unbewuβte Geste geht zwar nicht verloren, sie ändert sich aber mit den Jahren. Wenn ein Erwachsener lügt, dann gibt ihm sein Unterbewuβtsein ebenfalls den Befehl, die Worte zurückzuhalten. Nur folgen Erwachsene nicht mehr blindlings dem Unterbewuβten, sie stoppen die Geste ab. Die Hand fährt zwar zum Gesicht, aber im letzten Moment gibt es so eine Art Notbremsung. Sie wird zur Nase abgelenkt, als ob´s da jucken würde. Mit anderen Gesten ist das ähnlich. Deshalb wird es auch immer schwieriger, jemandes Körpersprache zu lese, je älter dieser Mensch ist. Trotzdem – der Körper lügt nicht. Er beiβt sich – bildlich gesehen – zwar häufiger auf die Lippen, aber das ist ja auch vielsagend.
Am schwierigsten wird das Lügen, wenn uns jemand besonders nahe kommt. Dann werden all die winzigen Signale wahrgenommen, die plötzlich nicht mehr stimmen – Mikrosignale, die wir nicht so richtig kontrollieren können: das Hochziehen einer Augenbraue, ein Zucken im Mundwinkel, sich verengende Pupillen. Dies sind alles Zeichen, die das Supersignal der Ehrlichkeit, die offenen Handflächen, Lügen strafen können. Meist spüren wir den Schwindel instinktiv. Aber nicht immer wollen wir unserem „sechsten Sinn“ glauben, wollen es nicht wahrhaben, wenn Worte und Gesten nicht mehr synchron laufen.
Bei Frauen ist dieses Gespür für Gesten, die nicht mehr zu den Tönen passen, besonders ausgeprägt. Am stärksten ist dieser „sechste Sinn“ bei Frauen, die Kinder haben. Wissenschaftler begründen das vor allem mit Training, weil die jungen Mütter sich in den ersten Lebensjahren ihrer Kinder nur per Körpersprache mit ihnen verständigen.
Auch wer es immer wieder übt, wie zum Beispiel Politiker, ist lediglich für kurze Zeit in der Lage, seine Körpersprache zu „fälschen“. Und er muss sich höllisch kontrollieren, damit der Körper nicht immer wieder eigenmächtige Signale aussendet, die seine Worte Lügen strafen.
Schauspieler, professionelle „Lügner“ aus künstlerischen Motiven, müssen ebenfalls diese Erfahrung machen. Deshalb legen sie auch so groβen Wert darauf, dass zwischen ihnen und dem Publikum stets ein gewisser Abstand herrscht. Das ist die Distanz, die Illusionen schafft. Die neuen Medien haben es den Mimen nicht gerade leichtgemacht. Auf der Bühne, da müssen die Bewegungen, die Gesten stilisiert, überhöht und zum Bersten mit Affekten beladen sein: Seelenschmerz in einer einzigen Handbewegung, ergreifend bis zum hintersten Rang. Bildschirm und Leinwand haben die Darsteller der Fiktionen scheinbar in Griffnähe herangerückt. Auf dem kleinen Bildschirm entlarven sich aber die groβen Geste als unglaubwürdig, bombastisch und lächerlich. Schauspieler müssen deshalb vielseitig sein und vor der Kamera differenziertere Nuancen zur Geltung bringen. Mancher, der auf der Bühne ein „Göttlicher“ war, wurde in der Nahaufnahme zum Blender.
Aus: Erhard Thiel: Die Körpersprache verrät mehr als tausend Worte, Ariston Verlag AG, Genf, 1986, Buch-Nr. 057802, S. 13-15